" Von Schweiß, Zucker und Blut "
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Suzanne Dracius
Von Schweiß, Zucker und Blut
(Rue Monte au ciel, Desnel, 2003
Ich weiß nicht, ob Emma den Emile liebt. Aber darum geht es hier nicht.
Die Mulattin ist sechzehn - milchig wie ein Corossol , zart wie ein Palmenherz. Es müssen noch zwei Tage vergehen, bevor sie durch rechtmäßige Heirat meine Großtante Emma B. wird.
Die Sache ist so, übermorgen soll Emma den Herrn Emile B. heiraten, angesehener Notar in Fort-de-France. Alles ist bereit : Die Lilien, der Organdi, der Damast, der Tüll mit dem atemberaubenden Musselin und hin bis zu den königlichen Orchideen, die man von Balata kommen läßt, noch schillernd vom feuchten Regenwald. Alles in jungfräulichem Weiß. Um sie herum spricht man nur noch von Aussteuer, Haartracht und Schleier, von Anproben, Schleppe, Haltung und wieder von Toilette.
Emma stürzt sich in diese Hochzeit wie in einen weißen Taumel.
Am dritten Tag nach ihrer Trauung drückte ihr der Herr Notar Emile B. einen kleinen Kuß auf ihre Lippen und empfahl ihr dann im Weggehen, sich auf keinen Fall in die Gegend der Rumfabrik zu wagen. Außer seinem, in der Straße Perrinon im Zentrum von Fort-de-France gelegenen Notariat, hat Herr Emile B. auch eine ältere kleine Brennerei geerbt, die beharrlich dahinvegetiert, da oben auf dem Plateau Didier. Da das Anwesen weitläufig war, ließ er dort das ehemalige Herrenhaus restaurieren, ganz mit alten Steinen und Holz von Guyana. Dort lebt jetzt Emma an der Seite ihres Gatten ; die einzige, für die das Haus neu ist, denn es gibt einen hübschen Haufen Mischlinge auf dem Morne Coco , die sich bereits rühmen können, uneheliche Kinder von B. zu sein. Emma begegnet jedoch nie einem dieser Bastarde. Sie geht niemals auf den Morne Coco auf der anderen Seite der Landstraße. Das ist kein Ort für sie, wie die rundliche Sonson so schön sagt. Jeden Tag, den Gott macht, fährt Herr Emile im Auto zu seinem Notariat und läßt sie allein in Haut-Didier mit den Frauen des Hauses : Man Sonson, die Köchin, und die kleine Da Sirisa. Emma fand es nicht nötig, mehr Personal im Haus zu haben.
Jeden Morgen derselbe Kuß, derselbe Spruch "wünsche einen schönen Vormittag" und derselbe gute Rat "spaziere nicht in der Nähe der Brennerei herum".
Was stellt er sich bloß vor ? denkt Emma, innerlich protestierend. Hat er etwa Angst, daß ich mich mit Rum vollaufen lasse ? Für wen hält er mich eigentlich ? Ich bin doch kein Kind mehr ! Übrigens sind die Alkoholflaschen alle in Reichweite auf dem Tischchen im Salon, nicht mal verschlossen. Wenn ich mich berauschen wollte, müßte ich nur die Hand ausstrecken.
Vielleicht mißtraut Emile der starken Erotik, die von den großen, geschmeidigen Körpern mit den langen stählernen Muskeln und der von Schweiß glänzenden Haut ausstrahlt Emma hat sie nur mal flüchtig gesehen, die Arbeiter der Rumfabrik, als sie gekommen sind, den Neuvermählten zu gratulieren, frisch gelockt, brillantiert, krawattenbestückt, nach dem Kölnisch Wasser "Étoile" duftend. Doch so schnell wie sie kamen, verschwanden sie auch wieder.
So verging die erste Zeit ihrer Ehe.
Am Morgen des achten Tages während Emile sich seiner täglichen Toilette widmete, immer lang wie ein Fastentag —— Emma hatte sich vergewissert, durch einen Blick in das Badezimmer, daß ihr Gatte damit beschäftigt war, das Rasiermesser über seinen spärlichen Mulattenbart gleiten zu lassen, sorgfältig die Konturen des Kinnbärtchens nachzeichnend, das Emma zu ihrer eigenen Ãœberraschung ein klein wenig lächerlich fand, genau in diesem Moment —— eilte die Jungvermählte halbwach, wie in einem Traum, bis zum Rand der Veranda gegenüber des Badezimmers bis zu der Stelle, von wo aus sie, geschützt von den Ranken der fleuris-six-mois und dem purpurroten Ãœberhang des Hibiscus aus Barbados, zwei-drei Kurven des Weges zur Brennerei nach Herzenslust beobachten konnte. Nie würde sie den ganzen Weg mit einem Blick erfassen können, das war ihr klar : Büschel riesiger Bambusstauden verdeckten ihn zum größten Teil. Aber da wo sich die krausen Schöpfe zur Seite neigten, brach ein Lichtstrahl durch und so wurde ein Stückchen Weg sichtbar. Mehr brauchte Emma nicht.
Die Schleier des anbrechenden Morgens waren leise verschwunden. In den filaos fingen die Amseln an zu zetern : So viel Gepiepse und Gezanke konnte bis zum nächsten Morgengrauen reichen. Lärmend, doch von Ruhe umstrahlt, schenkte der heitere Tagesanfang wieder quirliges Leben : zunächst den wogenden Waldrändern da unten durch eine Bewegung der sissis , dann den Hähnen, die sich beeilten, als erste zu krähen, um ihre Überlegenheit kundzutun und dem Gegackere der Hühner zuvorzukommen. So erweckte er auch die Akrobatenstückchen der anolis , die, auf einer Zwergdattelpalme verteilt, schon auf der Jagd waren und Emma, die aus dem Bett sprang, mit nackten Füße auf die feuchten Fliesen, wobei sie mit einer Hand die Spitzen ihres Hemdes am Hals zusammenfaßte.
"Wie kühl es ist, beim ersten Hahnenschrei !" murmelt Emma zitternd. Vor Kälte ? Vor Angst ? Vor dem Gefühl des Unerlaubten ?
Plötzlich, ganz klar, zerschneidet die maskuline Stimme eines Kerls die Luft, den Emma, leider ! nicht zu sehen vermag.
Emma, ganz Ohr, schließt die Augen :
—— Ich sag’s dir doch, es gibt keinen Zyklon ! Erzähl’ mir keine Geschichten. Laß doch dein dummes Gerede, ich habe dein blödes Geschwätz satt !
Eine zweite Stimme, eine ungeduldige, hartnäckige, posaunt heraus :
—— Mach was du willst ! Ich habe mich schon vorbereitet. Streichhölzer, Öl, Petroleum, Kerzen, ich habe schon meine Vorräte besorgt. Der Herr Zyklon soll nur kommen.
—— Schau ihn dir nur an ! Er hört nicht mal zu. Er träumt und träumt nur, der Gute. . .
Da ist noch diese neue Stimme, sie versucht, die andere zu übertrumpfen. Sie schafft es ohne Mühe. Das ist ein dritter Mann, der da spricht. Emma erkennt weder den Tonfall noch den Dialekt der beiden ersten. Dieser hier spricht in einer groben Mundart voller Holprigkeiten. Ach, ein Mann aus dem Norden ! sagt sie sich, ohne recht zu wissen, warum.
—— Aber was hast du bloß in deinem Spa-Spatzengehirn, mein Alter. Hör auf, dir den Kopf zu-zu zerbrechen ! Du hörst dich an wie ein Brummkreisel, spöttelt eine etwas spitzere Stimme.
Welcher der beiden hat da eben gesprochen ? Unterscheiden kann sie es nicht mehr. Nicht der erste der Männer, da ist sie sicher. Dessen Stimme würde sie unter tausenden wiedererkennen, jetzt, da sie sie gehört hat. Eine Röte prickelt ihr auf den Wangen. Emma unterdrückt ein Zittern. Vom Fieber diesmal ? Ah ! Wenn sie doch schnell die Lücke erreichten, sodaß sie sie sehen kann !
Aber sobald sie dort angekommen sind, wird sie die Männer nicht mehr hören können. Schon jetzt verhallen ihre Stimmen, ihre Worte lösen sich in Luft auf. Sie unterscheidet nun nicht mehr, was sie sagen. Nur noch ein Schwall abgehackter Silben erreicht sie, immer die gleichen, unverständlichen ; Te-te-ke-ke-pe-ka-pu-puki, das emsige Gebelle dessen, der stottert und daher stärker artikuliert als die anderen. Als Ausgleich, sagt sie sich.
—— Die Luft von Haut-Didier ist gesund, aber jetzt gerade muß man doch die Invasion der Spinnen, die wäschefressenden Motten und die Kakerlaken fürchten, die da kacken und allerlei Sorten Eier in die Säume deiner Wäsche legen, macht die kleine Da der Emma klar.
Emma zuckt zusammen, verläßt unverzüglich ihren heimlichen Beobachtungs-posten.
Und Man Sonson, überbietet sie noch :
—— Wenn du deine Wäsche ewig so eng im Schrank lagerst, wirst du sie nicht wieder finden ! . . . Aber Sirisa, meine Kleine, genug aufgeregt. Du wirst mit dem Bügeln nicht fertig, meine Liebe. Ach du lieber Gott ! Will sie sich hier draußen etwa eine Erkältung holen ? . . . Was tust du denn mit deinen feuchten Patschfüßchen auf den heißen Fließen - und, schlimmer noch, dieser kalte Schweiß auf deinem ganzen Körper ?
Herr Emile hat sicher seine langwierige Toilette beendet. Aufrecht, mit triumphierendem Kinnbärtchen wird er sich dem täglichen Zeremoniell widmen : Guter Vormittag, guter Kuß und guter Rat . . .
Wahrhaftig, er ist weggefahren am Steuer seines Wagens.
Dort oben im großen Haus langweilt sich Emma.
Ein warmer Geruch nach Karamel und Zuckerrohr-Alkohol aus der Brennerei steigt ihr in die Nase. Die junge Frau genießt diesen verwirrenden Duft des gärenden Rums, der stärker ist als das Aroma eines Punsches, berauschender als ein "Pflanzerschnaps" oder jener Tropencocktail, der beim großen Jahresball der Offiziere serviert wird.
In Erwartung der ersten Niederkunft der Herrin, beschäftigt sich die kleine Da schon liebevoll mit der Ausstattung des zukünftigen Erstgeborenen. Man kommt aus den Aussteuern nicht mehr heraus. Sirisa ist nie fertig mit dem Waschen, wieder Waschen, Bügeln und nochmals Waschen der Windeln, Lätzchen und Strampelhosen, der kleinen Bettbezüge mit Lochstickerei und des winzigen Moskitonetzes. Auf keinen Fall wird etwas in Mottenkugeln aufbewahrt, was das Wickelkind auch nur von weitem berühren wird. "Das würde ihm die Haut abziehen, dem armen kleinen Teufel, und - schlimmer noch - der Geruch würde ihn ersticken," versichert schulmeisterlich Man Sonson. Daher ist für die Da eine Ehrensache, eifersüchtig den zukünftigen Herrn B. zu bewachen, selbst wenn er noch nicht mal unterwegs ist, selbst wenn sich bei Emma im Moment im Kopf mehr abspielt als im Bauch. Ob Madame es will oder nicht, er wird geboren werden und er wird männlich sein, davon braucht man gar nicht mehr zu reden, "daran läßt sich nicht rütteln," wäre Man Sonson’s letztes Wort, falls jemand zweifeln sollte. Ãœbrigens wurde schon ein Jungenname für ihn reserviert. Falls es zu allem Unglück ein Mädchen wird, muß man nur am Ende ein "e" anfügen. Hätte Monsieur "Arsène" anstelle von "Henri" gewählt, wäre es noch einfacher gewesen. Dann gäbe es überhaupt nichts zu verändern. Man Sonson sieht das so : Obgleich "Arsène" "mannhaft" bedeutet, findet sie überhaupt nichts dabei, das einem Mädchen anzuhängen, da es immer noch reichlich genug Weiblichkeit haben wird ! Auf jeden Fall kann Man Sonson nicht griechisch. Das ist wirklich die kleinste ihrer Sorgen. Dagegen wird es ein schwerwiegendes Problem darstellen für die Taufe, denn der im voraus bestimmte Pate wird es ablehnen, zum ersten Mal in seinem Leben bei einer Repräsentantin des weiblichen Geschlechts Pate zu stehen : "Das bringt Unglück . . . " Wenn er sein Einverständnis gegeben hat, dann für einen Jungen. Für ein Mädchen, das ist eine andere Sache : An diese Möglichkeit dachte er nicht mal, als er stolz ja gesagt hat. So groß auch die Ehre, Pate eines kleinen Mannes zu werden, - bei einem Pisselchen jedoch . . .
Sicher hat Emma ihre Freude an dem Gejammer der schulmeisterlichen Man Sonson, die ihre Flut von Kümmernissen, vergangene, gegenwärtige und zukünftige, ausschüttet, während sie den Fisch abschuppt.
Aber was das Geheimnis dieser Männer betrifft . . . !
Beim Wegfahren hat Herr Emile B. angekündigt, daß er heute zum Mittagessen nicht wieder heraufkäme. Wie das öfter vorkommt, hat er ein Geschäftsessen, das ihn in Fort-de-France festhält. Tja ! Manchmal läßt er sich sogar so weit herab und ißt auf dem Markt einen blaff oder eine pikante Brühe mit rotem Pfeffer, die serviert wird von imposanten câpresses , gleich da vom großen, auf Böcke gestellten Holzbrett.
Niemals hat Herr Emile davon gesprochen, eines Tages Emma dahin mitzunehmen.
Sie nimmt an, daß sich das nicht gehört.
Na, na du kleines Schleckermäulchen, du nippst an deinem Punch, ganz ohne auf mich zu warten ?
Das ist die Tante Hermine, die gerade ankam.
Ach ja, die Patin ißt heute hier zu Mittag, klar ! Jedes Mal, wenn es nötig ist, daß Herr B. in der Stadt speist, delegiert er "Kusine H." —— "Patin" für Emma, denn sie ist die Tante die sie auch zum Taufbecken trug, —— eine B. von Saint-Pierre, keine B. aus Fort-de-France, darin liegt der ganze Unterschied. Die B’s von Saint-Pierre hegen einen gewissen Patriarchalismus gepaart mit Ãœberheblichkeit gegen die B’s von Fort-de-France ; ein Platz ist nach ihnen benannt, mittendrin in Saint-Pierre, zu Ehren eines der ihren, der ein großer Mann der Stadt war —— Emma hat vergessen, warum —— aber die B’s von Fort-de-France haben mehr Geld.
Die historische und nichtsdestoweniger verarmte Mulattin ergötzt sich daran, zu betonen, daß die Familie B. eine große Familie ist. Emma jedoch entgegnet ihr mit einem Auflachen :
—— Man darf nicht "große Familie" mit "zahlreicher Familie" verwechseln !
Groß oder nicht, nie hat die Familie B. Emma für sich gewonnen,.
Das Mittagessen zieht sich hin. Die Patin spricht ganz alleine, ohne es zu merken : Emma hört ihr nicht mehr zu. Emma ist in Gedanken versunken. Emma ist außerhalb des Hauses.
Wenn es eine Sache gibt, die sie nervt, dann ist es, keine Erfahrungen machen zu können. Nichts zu kennen als nur eine Seite des Lebens.
Sie kann nichts sehen, nichts kennenlernen. Wenigstens nichts von sich aus kennenlernen. Weil sie die Frau des Mulatten ist, die "Gattin des Herrn," Mulattin auch sie, deshalb hat sie nicht das Recht, nachsehen zu gehen, was da unterhalb vor sich geht, was die da unten machen, da drinnen, im Innern der Brennerei. Sie kann nur einige Konversationsfetzen erhaschen, wenn sie am Morgen ankommen oder wenn sie weggehen, am Abend, nach beendeter Tagesarbeit. Wenn sie sie hört, sind sie noch unsichtbar, kaum sieht sie sie endlich, kann sie sie nicht mehr hören, sie sind zu weit weg. Dann gehen sie in die Brennerei hinein. Letzteres sieht sie nicht, es ist etwas, das sie sich vorstellt, das passiert erst später, hinter der letzten Biegung des Weges, von wo sie ein allerletztes Mal die Gruppe der marschierenden großen Männer erblickt, immer groß, trotz der Entfernung : Sie hat nie den Fuß hineingesetzt in die verteufelte Brennerei ! Das ist für sie eine unbekannte Welt, das Innere der Brennerei. Sie möchte da hineingehen, sehen, was sie machen, wissen, wie sie es anstellen, die Männer, die sie täglich flüchtig wahrnimmt, die sie heimlich beobachtet ; ja, wissen wie sie es anstellen, den Saft des Zuckerrohres in Rum zu verwandeln. Rum hat Emma wohl schon getrunken, mit viel Sirup und Limone.
Zuckerrohr hat sie schon gekostet. Aber diese verbotene Alchimie . . .
Oh ! Sie hat viele Sachen gelernt im Pensionat Colonial der Ernest-Renan Straße, wo alle jungen Damen in Fort-de-France aus vergleichweise "gutem Hause" hingehen. Steif und formell und im Grunde entschieden weltlich. Aber alles ging so schnell vorbei ! Emmas Hunger wurde nicht gestillt. Sie war keine schlechte Schülerin, sie verschlang ganze Kapitel von der Geschichte Frankreichs und von Navarre ; sie kennt alle ihre Lehrpläne der Naturwissenschaften und der Physik und sogar die Geographie der weiten Welt. Sie weiß ganz genau, wer das Gefäß von Soisson zerbrochen hat, und alles über Herzvorhöfe und andere Kammern. Jedoch vom Rum, der da ein paar Schritte entfernt hergestellt wird, hat sie keine Ahnung.
Nichts ist ihr heute rätselhafter als diese Brennerei ganz in ihrer Nähe, wo sich hochgewachsene Männer mit blauschwarzen schönen Körpern verbergen, die sie nur im Vorbeigehen zu sehen bekommt. Jetzt, da sie verheiratet ist, Frau, Gattin, Herrin des Hauses, potentielle Mutter, ist ihr nichts fremder als diese ihr doch so nahe Welt, als diese Kehrseite vom Leben, zu der sie keinen Zugang hat.
Man hat eine Schranke aufgerichtet zwischen Emma und diesen Kreolen da. Zwischen deren Welt und ihrer eigenen, zwischen deren Art zu sprechen und der ihren. Zwischen deren Haut und der ihren. Zwischen deren Geschlecht und dem ihren.
Den Mittagsschlaf der Patin ausnutzend, hat sich Emma wie eine behende Manguste bis zum Rand der Anderen Welt vorgeschlichen. Heimlich, verstohlen, ohne daß Man Sonson Verdacht schöpfte und sogar ohne Sirisas Wissen, die sonst immer alles merkt.
Es ist Mittagspause, vermutlich auch für sie. Das ist normal : mit der Patin ist man gezwungen, früh zu servieren aus Respekt für ihr hohes Alter.
Ein Mann mit nacktem Oberkörper bleibt auf der Schwelle stehen. Nach der Anstrengung zieht er sein Unterhemd wieder an, um sich keine Erkältung zu holen. Die lockeren Maschen des Hemdes kleben an seiner mit Schweiß bedeckten Haut. Emma hat ihn gleich wiedererkannt : das ist der, mit der ersten Stimme, der klarsten, derjenigen die frühmorgens stets als erste die Luft durchdringt. Dafür würde sie ihre Hand ins Feuer legen.
Eine anständige Dusche wäre hier nötig. Aber kaltes oder auch lauwarmes Wasser auf einem verschwitzten Körper ist genau das Richtige, um sich was zu holen. Jedenfalls predigen das die Erwachsenen, also ist es nichts mit der Dusche. "Da gibt’s nichts dran zu rütteln," genau so würde Man Sonson zu ihm reden, wenn sie da wäre, verdammt nochmal ! Hoffentlich weiß er das auch . . .
Der Mann mit dem verschwitzten Hemd streckte seine langen Glieder aus, dann ging er mit langsamen Schritten weiter weg, um sich im Schatten niederzuhocken .
Andere gesellten sich im Freien zu ihm, setzten sich mit ihm unter den ausladendsten Mangobaum. Aus ihren Beuteln holten sie ein dickes Stück Brotbaumfrucht, gebratene balaous , acras , etwas Kabeljau : es ist Freitag. Sie essen andächtig, ohne zu reden. Der mit dem nassen Hemd schenkt der Runde ordentliche Schlucke einer klaren Flüssigkeit aus, sicher gewöhnlicher Rum, oder vielleicht einfach nur Wasser ?
Emma wagt nicht hinzugehen, mit ihnen zu sprechen. Sie wagt es nicht mal, sich ihnen zu nähern. Ist es ihre Stummheit, die sie so beeindruckt ? Sie kennt sie nur redend wenn sie ihnen am Morgen nachspäht. Ihre Vertraulichkeit ist vor allem durch das Sprechen entstanden, durch das geteilte Geheimnis all dieser Worte, die sie ihnen tagtäglich stiehlt, —— diese Kreolenworte . . . Ist es ihr Schweigen, das sie zurückhält oder die unüberschreitbare Schranke zwischen ihr und dieser Welt dort ? Unüberschreitbar vielleicht, aber nicht unumgehbar. . .
Emma umkreist die Gruppe der Männer in sicherer Entfernung, um nicht entdeckt zu werden.
Fast auf allen Vieren erreicht sie die Rückseite des Gebäudes, schafft es, über den Sims eines niedrigen Fensters einzudringen.
Ihr Blut tropfte auf das Zuckerrohr, bespritzte die ausgepressten Stengel.
Die Eskapade zur Brennerei hat Emma drei Finger gekostet. Das war der Preis. Und das nur, weil sie brüllte. Und vor allem, weil die Männer schon herbeirannten - ganz verblüfft über den Lärm der Maschine, die sich unerklärlicherweise wieder in Betrieb gesetzt hatte - und die Geistesgegenwart hatten, das Mahlwerk zu stoppen während einer von ihnen, der stärkste, der mit dem verschwitzten Hemd, sich an Emmas Körper mit all seiner ganzen gespannten Muskelkraft festkrallte.
Der Mann schaffte es, den gefräßigen Schwung der Maschine zu bremsen.
—— Ansonsten hätte diese Schweinerei ihr die Hand zermalmt, die ganze Hand und mehr noch, den Arm oder gar ihren ganzen Körper, wer weiß . . . Ach Jesus Maria und Joseph und alle Heiligen, warum mußte die Herrin auch zwischen diesen Maschinen herumspielen, jammerte Man Sonson.
Ein guter Doktor aus der Vetternschaft, dringlich herbeigerufen, ließ der verstümmelten Hand Emmas die nötige Behandlung zuteil werden und Herr Emile B., seinem Notariat entrissen, machte keinerlei Bemerkung. Für ihren Ungehorsam war sie bereits genug bestraft ! Nie hatte man ihn so stumm gesehen. Nie hatte man sie so bleich gesehen, mit einem Glanz in den Augen, der nie mehr erlöschen sollte. Ja, wie ein Frohlocken war dieses Leuchten in den Augen Emmas . . .
Nachdem sie den Gebrauch der Finger verloren hatte, mit denen sie am besten umgehen konnte, lebte Emma B. unbeholfen —— ich weigere mich, unfähig zu sagen ——, ihr Leben als Dame von Fort-de-France, mit einer behandschuhten linken Hand, zuerst in weiß, dann in marineblau und zum Schluß in perlgrau. Die Dummen sagten : "Glücklicherweise war es nicht die rechte Hand !"
Gewisse Leute sahen darin ein Geheimnis, andere eine Art von beunruhigendem Charme ; wieder andere lasen darin ein Zeichen von Besonderheit oder eine Art Herausforderung, ohne zu wissen welche. Recht wenige wußten, was sie davon halten sollten ; die wenigsten kannten das Geheimnis um Emmas Rebellion.
Als Emma starb, in ihrem einhundertzweiten Lebensjahr, zog Orest, ihr siebzehntes Kind, auf ihrem Totenbett —— oder sollte ich besser sagen : ihrem Hochzeitsbett ? —— ihr den Handschuh aus feinster weißer Baumwolle über, den ersten, den sie bis zum Tage ihrer Silberhochzeit getragen hatte. Gewaschen, wieder gewaschen, gebügelt, war er nicht mal vergilbt.
Weder krik, noch krak.
All dies ist kein Märchen.
Dies ist wahrhaftig meiner Großtante Emma B. passiert.
Jene Raserei, ein Gemisch aus Schweiß, Zucker und Blut hat in Emma, wenigstens einmal in ihrem Leben, eine starke Gefühlsaufwallung erwirkt.
© Suzanne Dracius 2003